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Die Biene - Illustriertes Familienblatt Haushalt und Familie

Der Garten als Erziehungsmittel – Kindererziehung durch Gartenarbeit

In einem Artikel aus dem illustrierten Familienblatt „Die Biene“ von 1878 ist beschrieben, welchen wichtige Rolle die Arbeit im Garten und in der Natur bei der Erziehung von Kindern spielt. Schon damals kannte man die Vorteile, die für Kinder durch Gartenarbeit entstehen. Ein durch und durch sehr interessanter Artikel, der das Lesen lohnt…

Der Garten als Hilfe bei der Kindererziehung
Kindererziehung im Garten – nach einer Zeichnung von Franz Defregger.

Der Garten als Erziehungsmittel. Erziehungstipps für junge Eltern.
Aus: Die Biene. Illustriertes Familienblatt. Nr. 24, 28. Jahrgang. 1878. Abbildung: „Das Vogelnest“ nach Franz Defregger

Kindergärten zu stiften, ist man gegenwärtig an vielen Orten bemüht. Das ist sehr löblich; nur sollte man auch nicht versäumen, die uralten eigentlichen Kindergärten nach Gebühr zu würdigen und auszunutzen. Dies sind die schlichten Hausgärten, deren in kleinern Orten viele Familien besitzen und zu haushaltschaftlichen Zwecken, sowie zur Erholung in freier Luft, zuweilen auch zu Hausfesten verwenden. Großstädter dagegen besitzen diese Zubehör eines Haushaltes, welche für das Gedeihen der Kinder viel wichtiger ist, als die „gute Stube“, weit seltener und meinen vielleicht sogar, dass sie derselben entbehren können. Um frische Luft zu schöpfen, um sich im Spiel zu tummeln, um das Auge an den Wundern der Natur zu ergötzen, sind ja – wähnen sie – die keiner bedeutenden Stadt mangelnden Parkanlagen und öffentlichen Gärten genügend und dass man diese Gelegenheit hinlänglich benutze, das werde ja durch die liebliche Staffage bewiesen, welche spielende Kindergruppen an jenen Orten bilden. Welcher Besucher von London oder Paris erinnert sich nicht mit Vergnügen an die kleinen nacktbeinigen Briten, die in den umbegten baumreichen Squares und den Parks ihr airing (Lüftung) nehmen und der Modestadtfinder, die im Tumleriengarten mit der Grazie von Ballettänzern über das Seil springen und Ball schlagen?

Aber so schön und geräumig diese öffentlichen Gärten auch sein mögen, den echten Haus- und Kindergarten ersetzen sie nicht und es wäre den Großstädtern dringend zu rathen, Actienvereine zu stiften, um einen Garten zu erwerben, an dem jede betheiligte Familie ein Stück Landes erhalte. Soll freilich die Erdscholle zum echten, die Erziehung fördernden Kindergarten werden, so genügt es nicht, wenn die Familie dann und wann die durch den Lohnarbeiter gepflegten Beete besucht; Vater und Mutter müssen viel mehr selbst ihre Gelände bearbeiten und die Kinder früh zur Mitwirkung herbeiziehen.

Gesundheitsfördernde Bewegung kann allerdings die Jugend auf dem Turnplatze und auf Spaziergängen in Parken, Feldern und Hainen sich auch machen; aber dennoch ist auch in gymnastischer Hinsicht der Hausgarten ein unersetzlicher Übungsplatz. Die Gärtnerarbeiten, als da sind: für die kleinern Kinder Jäten, Rechen, Begießen, Abpflücken, für die größern aber auch Graben, Hacken, Erde tragen bieten für alle Stufen des Alters und der Tüchtigkeit passende Körperübung.

Was aber diese Beschäftigung außerdem besonders wertvoll macht, ist der Umstand, dass durch sie das Kind vom zwecklosen Spiele zur nützlichen Arbeit fortschreitet, dass es lernt, ein fernliegendes Ziel durch stetige, den kleinen Flatterfinn bald ermüdende Geschäfte anzustreben. Die Anregung zu solchem Thun erfolgt am sichersten durch das Vorbild der Eltern. Ein Knabe, der den Vater beharrlich graben und beschneiden, ein Mädchen, dass die Mutter unermüdlich jäten und pflücken sieht, wird sicherlich herbeieilen, um an solcher Arbeit, die das Kind den Erwachsenen gleichzustellen scheint, teilzunehmen, und Eltern, die es verstehen, die einförmige Handarbeit durch Hinweisung auf dabei zu beobachtende Eigenschaften der Naturdinge zu würzen, werden erleben, dass, „wenn gute Reden sie begleiten“, auch „diese Arbeit munter fortfließt.“ Ein mächtiger Reiz zur Ausdauer liegt außerdem darin, dass jedem Familienglied ein eigenes Bett zu alleiniger, selbstständiger Bearbeitung zugewiesen wird. Und die Aussicht auf die Freude an selbstgezogenen Blumen und Früchten ist ja wohl ein so harmloser Tugendpreis, dass auch der strengste Anhänger des kategorischen Imperativs ihn nicht verdammen kann.
So kann der Hausgarten dem Kinde zähe Ausdauer und stille Konsequenz einprägen, jene von Goethe als Gärtnertugenden gepriesenen Eigenschaften, welche allen Menschen so wohl anstehen.

Aber der Kindergarten ist nicht blos eine fördersame Werkstätte, er stellt zugleich die beste Vorschule des Naturstudiums dar. Der Lehrer findet gar bald unter den Kindern, die er neu in seine Klasse bekommt, die heraus, welche eine solche Gartenschule durchlaufen haben; denn sie kennen nicht nur eine größere Anzahl von Pflanzen und Tieren durch lebendige Anschauung, sie zeichnen sich auch durch geweckten Natursinn und durch leichteres Verständnis der Pflanzen- und Tierkunde aus. Um aber den Garten zu einer förderlichen Vorschule für das Naturstudium zu machen, ist es nicht notwendig, dass die Eltern tief wissenschaftliche Kenntnisse besitzen. Der echte Gartenfreund, der seine Pfleglinge liebt und näher beobachtet, hat sicher dadurch den Lehrerberuf. Sehen die Kinder, wie ein solcher Alles genau beobachtet, wie scharf er die Gattungen, Arten und Spielarten unterscheidet, wie sorgsam er alle Maßregeln den Lebensgesetzen der verschiedenen Pflanzen anzupassen sucht, so werden sie schon mächtig zu eingehender Betrachtung angeregt, welche die Mutter alles Studiums ist. Wenn nun gar der Gärtner genug Luft und Geduld besitzt, um gelegentlich zu unterrichten und die oft wunderlichen Fragen der Kleinen zu beantworten – und welcher Vater würde jene Eigenschaften den eigenen Kindern gegenüber entbehren? – wenn er anregt, die einzelnen Kulturpflanzen und Unkräuter genau zu unterscheiden, Blumen und Früchte von innen und außen forschend zu betrachten, wenn er namentlich dazu anhält, die Lebensgeschichte einzelner Pflanzen von der Keimung bis zur Samenreife in regelmäßigen Fristen zu beobachten, darüber mündlich oder schriftlich zu berichten und besonders schöne Naturdinge abzuzeichnen – dann darf er versichert sein, dass er nicht blos seinem Steckenpferde neuer Liebhaber gewinnt (und die Gartenpflege ist keineswegs eine eitle Spielerei, sondern ein wichtiger Bestandteil der Zivilisation), sondern auch dem Naturstudium wohlvorbereitet Zöglinge zuführt. Naturforscher können nicht Alle werden, aber die Natur mit offenen Sinnen beschauen und ihre Erscheinungen mit hellem Geiste beurteilen sollen Alle.

Aber nicht blos für die verständige Naturbetrachtung, auch für den gemütlichen Verkehr mit den Kreaturen, für die Naturbefreundung, jene edle Tugenden der Germanen, kann unser Kindergarten segensreich wirken. Die Erziehung eines schlichten Leberblümchens durch eigene Sorge und Mühe wirkt in dieser Hinsicht kräftiger, als der Besuch der reichsten Gewächshäuser, in denen das Kind Seltenheiten müßig anstaunt und, durch den verwirrenden Einfluss des Vielerlei gestört, bald kühl verlässt. Ein „selbstgezogenes“ Erbsenpflänzchen oder Obstbäumchen – welche Freunde erregt das, wenn es die ersten Früchte bringt! Der Mutter ein Sträußchen „aus meinem Gärtchen“ zu bescheeren, wieviel mehr Freude macht das dem Geber und der Schenknehmerin, als das kostbarste Bouquet aus dem Handelsgarten! Eltern, die selbst die Süßigkeiten des traulichen Verkehrs mit Pflanzen, wie ihn nur der Pfleger genießt, geschmeckt haben, bedürfen keiner Aufforderung, um einen ähnlichen Genuss auch ihren Kindern erreichbar zu machen. Ist doch der Umgang mit den holden Kindern Floras und Pomonas fast so freudenreich und fröhlich, wie der Verkehr mit wohlgearteten Menschenkindern.

Auch für die ästhetische Bildung und zwar nicht blos für das Genießen, sondern auch, wenn nicht für das künstlerische Schaffen, doch für das liebevolle Hegen und Pflegen des Schönen kann der im rechten Sinne benutzte Hausgarten segensreich wirken. Oder ist es nicht geschmackbildend, wenn die kleinen Gärtner früh angehalten werden, die Wege und Beete sauber zu halten, ihre Blumenstöckchen in gefälligen Gruppen zu pflanzen, die gepflückten Blumen in einen zierlichen, der Farbenharmonie entsprechenden Strauß zu binden, das abgenommene Obst in hübscher Anordnung auf den Teller zu legen? Für Mädchen namentlich bieten solche kleine Gartenarbeiten manche Übung, die weit mehr Bildungskraft für den Schönheitssinn haben, als das leidige Stricken.

Aber auch das höchste Gebiet aller Erziehung, das sittliche, geht im Kindergarten nicht leer aus. Schon die bloße Arbeit, das geduldige Ausharren, die mütterliche Sorge für die Pfleglinge wirkt versittlichend. Zu einer wahren moralischen Anstalt wird aber der Hausgarten, wenn die Eltern ihn recht zu benützen wissen. Die erste Erziehungsanstalt war im Garten. Das erste Verbot war die Warnung vor der Frucht des Paradieses. Und unsere Kinder sollen im Garten durch Schonung der ihnen noch nicht ausdrücklich zuerkannten Blumen und Früchte sich im Gehorsam, in Enthaltsamkeit und Entsagen üben, sie sollen durch gemeinsame Arbeiten an ihren benachbarten Beeten die nachbarlichen Tugenden der Verträglichkeit, der Neidlosigkeit, der thätigen Nächstenliebe bewähren lernen. Das sie ihre Eltern höher achten und inniger lieben, wenn sie an dieselben als den Gartenherrn hinaufblicken, dies weiß wohl jeder Lehrer, der so glücklich war, an der Seite seines Vaters die ersten Gärtnerkenntnisse zu erwerben; wer es aber nicht erfahren haben sollte, der lese nach, welche Ehrsucht und Liebe der kleine Göthe gegen seinen Großvater hegte, wenn dieser im Garten seine Spaliere pflegte!

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